Günther Rabl: Electric Orpheus back | home | Electric Orheus Academy

Reihen und Systeme

Das Wesentliche an der Verwendung von Reihen und Systemen in der kompositorischen Arbeit ist die Einschraenkung. Alle musikalischen oder strukturellen Parameter, mit Ausnahme der Switches und Modi, liegen grundsaetzlich einmal als Kontinuum vor uns - amorph und charakterlos. Mit der Beschraenkung auf nur wenige bestimmte Werte oder Intervalle durch Skalen, Reihen und Systeme definieren wir einen Grundcharakter.
Musikinstrumente, die man nicht stimmen muss (unter Umstaenden auch gar nicht stimmen kann), wie fast alle von der elektronischen Musikindustrie angebotenen Keyboards, blockieren eine dynamische Weiterentwicklung der darin vorhandenen Systeme. Jenseits von etwaigen Maengeln wirken sie endgueltig und sakrosankt.

Arithmetische Reihe

Die arithmetische Reihe (die Mathematiker sagen arithmetische Folge) oder auch lineare Reihe definiert sich so, dass jedes Element von seinem vorhergehenden durch eine gleiche Differenz unterschieden ist: Ex+1 = Ex + d
Die trivialste arithmetische Reihe ist die Folge der ganzen Zahlen 0 1 2 3 ...
Die Differenzen zwischen beliebigen Elementen dieser Reihe sind wieder Teil der Reihe selber, nicht aber die Proportionen. In der Akustik finden wir eine arithmetische Reihe in der Struktur der Obertoene von eindimensionalen Klangtypen. Auch die Dauern zwischen den Zeitwerten eines fixen Metrums sind Teile einer arithmetische Reihe, sowie die Notenwerte, die durch Bindungen entstehen.
Eine arithmetische Reihe muss nicht unbedingt zentriert sein, sie kann auch um einen beliebigen Betrag verschoben sein: -0.7  0.3  1.3  2.3  3.3 ....Dabei sind allerdings die Differenzen nicht mehr Teil der Reihe selber.

Geometrische Reihe

Eine geometrische Reihe (die Mathematiker sagen geometrische Folge) oder auch Exponentialreihe definiert sich so, dass jedes Element von seinem vorhergehenden durch einen gleichen Faktor unterschieden ist: Ex+1 = Ex * f
In der Musik kennen wir zwei geometrische Reihen, die so selbstverstaendlich sind, dass sie vielen Musiker als solche gar nicht bewusst sind. Da ist zunaechst die Reihe der Notenwerte: ganze Note, halbe, viertel, achtel, sechzehntel ... das sind die Elemente einer absteigenden Exponentialreihe mit dem Faktor 2. Und dann vor allem die temperierte Stimmung: C  C#  D  D#  E  F  G  G#  A  A#  H .... das sind die Elemente einer Exponentialreihe mit dem Faktor 1.059 (der temperierte Halbton).
1.05912 = 2 oder 1.059 = 12√2 = 21/12
Analog dazu auch die Lautstaerkeabstufung in dB: das Lautstaerkeintervall 2:1 ist dabei in 6 gleiche Schritte unterteilt (6√2).

Subharmonische Reihe

Die Elemente einer subharmonischen Reihe sind die Reziprokwerte einer linearen oder arithmetischen Reihe, also etwa: 1  1/2  1/3  1/4  1/5  1/6  1/7  1/8 ....
So eine Reihe ist ansatzmaessig in der Notenschrift vorhanden: Triolen, Quintolen, Septolen .... [@5]

Fibonacci Reihe

Benannt nach dem italienischen Mathematiker Alessandro Fibonacci (1471-1520) bildet sich diese Reihe, indem jedes Element die Summe seiner zwei vorangehenden Elemente ist, wobei man ueblicherweise mit den Elementen 0, 1 beginnt: 0 1 1 2 3 5 8 13 21 34 55 89 ....
Dieser Reihe wurde im Mittelalter eine mystische Bedeutung zugemessen, unter anderem auch deshalb, weil ihre ersten Elemente ungefaehr den Abstaenden der damals bekannten Planeten entsprechen. In der Musik wird sie fallweise gerne verwendet, insbesondere zur Bestimmung von Dauernelementen.
Betrachtet man die Proportionen benachbarter Elemente dieser Reihe, so zeigt sich, dass sie sich alternierend asymptotisch einem bestimmten Wert naehern:

 

1  
 

2

2.000

 

3

1.500

 

5

1.667

 

8

1.600

 

13

1.625

 

21

1.615

 

34

1.619

 

55

1.618

 

89

1.618

Dieser Wert 1.61803399.. ist die als Goldener Schnitt bekannte Proportion. Die Fibonaccireihe naehert sich also sehr schnell einer Exponentialreihe im Goldenen Schnitt.

Goldener Schnitt

Die als Goldener Schnitt beruehmte Proportion war urspruenglich ein Bildformat. In der Antike und noch im Mittelalter galt es als das ausgewogenste aller Formate. Es definiert sich so: wenn man von einem Rechteck im Goldenen Schnitt ein Quadrat abtrennt, so hat das verbleibende Rechteck dieselben Proportionen wie das urspruengliche. Die Seiten verhalten sich dabei wie 1:1.6180399 oder (√5+1)/2
Eine Exponentialreihe mit diesem Faktor hat dieselbe Grundeigenschaft wie die Fibonaccireihe: jedes Element ist so gross wie die Summe seiner beiden vorangehenden Elemente: .... 0.618  1.000  1.618  2.618  4.236 ....
Wie alle Exponentialreihen eignet sich auch diese hervorragend fuer die Gestaltung von Dauern und Lautstaerke [@1].
Fuer Tonhoehe und Frequenz bietet sich die Konstruktion einer hyperexponentiellen Reihe an. Dabei fungiert die Proportion nicht als Faktor, sondern als Exponent. Ausgehend von einem Basisintervall Bx findet man die benachbarten Intervalle: Bx+1 = Bx1.618 und Bx-1 = 1.618√Bx
Setz man als Basisintervall selber wieder die Proportion 1.618, so ergeben sich folgende, teilweise bekannten Intervalle:

 

.....  
 

1.044

Halbton

 

1.073

Dreiviertelton

 

1.120

Ganzton

 

1.202

kleine Terz

 

1.346 

Quart

 

1.616 

kleine Sext

 

2.177 

Dreiviertelton * Oktave

 

3.525 

Septime * Oktave

  .....  

Die Zuordnung der gewohnten Intervalle ist etwas grob, aber durchaus noch im Bereich einer normalen Intonationsbreite. [@1]

DIN-A Format

Dieses bekannte europaeische Papierformat definiert sich so, dass, wenn man ein Blatt in zwei gleiche Teile schneidet, die Teile wieder dieselben Proportionen aufweisen wie das urspruengliche Blatt, naemlich 1:1.414 oder √2.
Die Seitenlaengen der Formate von A0 bis Ax bilden dabei eine absteigende Exponentialreihe mit diesem Faktor. Diese Normformate sind vorteihaft fuer Verkleinerungen und Vergroesserungen, ansonsten aber eher unattraktiv fuer kuenstlerische Gestaltung oder Handschrift. Das dieser Proportion entsprechende Tonhoehenintervall ist der Tritonus.

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@1

Guenther Rabl: Fantasie ueber den Goldenen Schnitt

@2

Guenther Rabl: FAREWELL TEMPERED PIANO

@5

Scriabin: Klavierstuecke