Reihen und Systeme
Das Wesentliche an der
Verwendung von Reihen und Systemen in der kompositorischen Arbeit ist die
Einschraenkung. Alle musikalischen oder strukturellen Parameter, mit Ausnahme
der Switches und Modi, liegen grundsaetzlich einmal als Kontinuum vor uns -
amorph und charakterlos. Mit der Beschraenkung auf nur wenige bestimmte Werte
oder Intervalle durch Skalen, Reihen und Systeme definieren wir einen
Grundcharakter.
Musikinstrumente, die
man nicht stimmen muss (unter Umstaenden auch gar nicht stimmen kann), wie fast
alle von der elektronischen Musikindustrie angebotenen Keyboards, blockieren
eine dynamische Weiterentwicklung der darin vorhandenen Systeme. Jenseits von
etwaigen Maengeln wirken sie endgueltig und sakrosankt.
Arithmetische Reihe
Die arithmetische Reihe (die Mathematiker sagen arithmetische
Folge) oder auch lineare Reihe definiert sich so, dass jedes Element
von seinem vorhergehenden durch eine gleiche Differenz unterschieden ist: Ex+1
= Ex + d
Die trivialste arithmetische Reihe ist die Folge der ganzen
Zahlen 0 1 2 3 ...
Die Differenzen zwischen beliebigen Elementen dieser Reihe
sind wieder Teil der Reihe selber, nicht aber die Proportionen. In der Akustik
finden wir eine arithmetische Reihe in der Struktur der Obertoene von eindimensionalen
Klangtypen. Auch die Dauern zwischen den Zeitwerten eines fixen Metrums sind
Teile einer arithmetische Reihe, sowie die Notenwerte, die durch Bindungen entstehen.
Eine arithmetische Reihe muss nicht unbedingt zentriert sein, sie kann auch
um einen beliebigen Betrag verschoben sein: -0.7 0.3 1.3 2.3 3.3 ....Dabei sind allerdings die
Differenzen nicht mehr Teil der Reihe selber.
Geometrische Reihe
Eine geometrische Reihe (die Mathematiker sagen geometrische
Folge) oder auch Exponentialreihe definiert sich so, dass jedes
Element von seinem vorhergehenden durch einen gleichen Faktor unterschieden
ist: Ex+1 = Ex *
f
In der Musik kennen wir zwei geometrische Reihen, die so
selbstverstaendlich sind, dass sie vielen Musiker als solche gar nicht bewusst
sind. Da ist zunaechst die Reihe der Notenwerte: ganze Note, halbe, viertel,
achtel, sechzehntel ... das sind
die Elemente einer absteigenden Exponentialreihe mit dem Faktor 2. Und dann vor allem die temperierte
Stimmung: C C# D D# E F G G#
A A# H .... das sind die Elemente
einer Exponentialreihe mit dem Faktor
1.059 (der temperierte Halbton).
1.05912 = 2 oder
1.059 = 12√2 = 21/12
Analog dazu auch die Lautstaerkeabstufung in dB: das Lautstaerkeintervall 2:1 ist dabei
in 6 gleiche Schritte unterteilt (6√2).
Subharmonische Reihe
Die Elemente einer subharmonischen Reihe sind die
Reziprokwerte einer linearen oder
arithmetischen Reihe, also etwa:
1 1/2 1/3 1/4 1/5 1/6 1/7 1/8 ....
So eine Reihe ist ansatzmaessig in der Notenschrift
vorhanden: Triolen, Quintolen,
Septolen .... [@5]
Fibonacci Reihe
Benannt nach dem italienischen Mathematiker Alessandro
Fibonacci (1471-1520) bildet sich diese Reihe, indem jedes Element die
Summe seiner zwei vorangehenden Elemente ist, wobei man ueblicherweise mit den
Elementen 0, 1 beginnt: 0 1 1
2 3 5
8 13 21 34 55 89 ....
Dieser Reihe wurde im Mittelalter eine mystische Bedeutung
zugemessen, unter anderem auch deshalb, weil ihre ersten Elemente ungefaehr den
Abstaenden der damals bekannten Planeten entsprechen. In der Musik wird sie
fallweise gerne verwendet, insbesondere zur Bestimmung von Dauernelementen.
Betrachtet man die Proportionen benachbarter Elemente dieser
Reihe, so zeigt sich, dass sie sich alternierend asymptotisch einem bestimmten
Wert naehern:
|
1 |
|
|
2 |
2.000 |
|
3 |
1.500 |
|
5
|
1.667 |
|
8 |
1.600 |
|
13 |
1.625 |
|
21 |
1.615 |
|
34 |
1.619 |
|
55 |
1.618 |
|
89
|
1.618 |
Dieser Wert
1.61803399.. ist die als Goldener
Schnitt bekannte Proportion. Die Fibonaccireihe naehert sich also sehr
schnell einer Exponentialreihe im Goldenen Schnitt.
Goldener Schnitt
Die als
Goldener Schnitt beruehmte Proportion war urspruenglich ein Bildformat. In der
Antike und noch im Mittelalter galt es als das ausgewogenste aller Formate. Es
definiert sich so: wenn man von einem Rechteck im Goldenen Schnitt ein Quadrat
abtrennt, so hat das verbleibende Rechteck dieselben Proportionen wie das
urspruengliche. Die Seiten verhalten sich dabei wie 1:1.6180399 oder (√5+1)/2
Eine Exponentialreihe mit diesem Faktor hat dieselbe
Grundeigenschaft wie die Fibonaccireihe: jedes Element ist so gross wie die
Summe seiner beiden vorangehenden Elemente: .... 0.618 1.000 1.618
2.618 4.236 ....
Wie alle Exponentialreihen eignet sich auch diese
hervorragend fuer die Gestaltung von Dauern und Lautstaerke [@1].
Fuer Tonhoehe
und Frequenz bietet sich die Konstruktion einer hyperexponentiellen Reihe an.
Dabei fungiert die Proportion nicht als Faktor, sondern als Exponent. Ausgehend
von einem Basisintervall Bx findet man die benachbarten Intervalle:
Bx+1 = Bx1.618 und Bx-1
= 1.618√Bx
Setz man als Basisintervall selber wieder die Proportion
1.618, so ergeben sich folgende, teilweise bekannten Intervalle:
|
..... |
|
|
1.044 |
Halbton |
|
1.073 |
Dreiviertelton |
|
1.120 |
Ganzton |
|
1.202 |
kleine Terz |
|
1.346 |
Quart |
|
1.616 |
kleine Sext |
|
2.177 |
Dreiviertelton * Oktave |
|
3.525 |
Septime * Oktave |
|
..... |
|
Die Zuordnung der gewohnten Intervalle ist etwas grob, aber
durchaus noch im Bereich einer normalen Intonationsbreite. [@1]
DIN-A Format
Dieses bekannte europaeische Papierformat definiert sich so,
dass, wenn man ein Blatt in zwei gleiche Teile schneidet, die Teile wieder
dieselben Proportionen aufweisen
wie das urspruengliche Blatt, naemlich 1:1.414 oder √2.
Die Seitenlaengen der Formate von A0 bis Ax bilden dabei
eine absteigende Exponentialreihe mit diesem Faktor. Diese Normformate sind
vorteihaft fuer Verkleinerungen und Vergroesserungen, ansonsten aber eher
unattraktiv fuer kuenstlerische Gestaltung oder Handschrift. Das dieser
Proportion entsprechende Tonhoehenintervall ist der Tritonus.
top
@1 |
Guenther
Rabl: Fantasie ueber den Goldenen
Schnitt |
@2 |
Guenther
Rabl: FAREWELL TEMPERED PIANO |
@5 |
Scriabin: Klavierstuecke |