Complex Audio
Jede Sinusschwingung ist ihrem Wesen nach eine
Kreisbewegung. Bilde ich eine Seitenansicht dieser Kreisbewegung in der
Zeitachse ab, dann erhalte ich die typische, eben als Sinus (lat.
'Kruemmung') hinlaenglich bekannte Wellenform. Diese eine, perspektivische
Komponente der Kreisbewegung auf die Luft uebertragen (zB. durch Lautsprecher)
genuegt, dass wir einen Sinuston hoeren. Dennoch ist die dazugehoerige
zweite Komponente, der 'Co-Sinus', sozusagen im Hintergrund imaginaer
permanent vorhanden. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Maximum dann
hat, wenn der assoziierte Sinus ein Minimum hat, und ein Minimum, wenn er ein
Maximum hat. [P1]
Dieser Kreiszusammenhang begegnet uns auch physikalisch,
etwa im Wechsel von Bewegungsenergie und Lageenergie (kinetische und potentielle
Energie) bei einem einfachen Pendel; oder im Wechsel von kapazitiver und
induktiver Energie in elektrischen Schwingkreisen (Sinusgenerator).
Frequenz - die Anzahl der vollstaendigen
Kreisdurchlaeufe pro Sekunde, als Hz (nach dem Physiker Hertz benannt) oder cps (cycles
per second).
Amplitude - der Maximalwert der Wellenform. In der
Darstellung einer Sinus-schwingung als Kreisbewegung hat die Amplitude in jedem
Moment denselben Wert, zeigt aber reihum in verschiedene Richtungen.
Phase - die momentane Position der Kreisbewegung zu
einem als Nullpunkt definierten Kreispunkt. Das ist ein zyklischer Parameter,
der entweder in Grad angegeben wird, zwischen -180grd und +180grd, oder im
Bogenmass, zwischen -pi und +pi.
Der Begriff der Phase ist nur complex verstaendlich, einer
rein reellen Vorstellung muss er immer ominoes bleiben. Phasenverschiebung
(besser: Phasendrehung) ist keine Zeitverschiebung, wie man das immer
wieder faelschlich hoeren kann, auch keine ganz kleine Zeitverschiebung.
Phasendrehung ist die Sonderform
einer complexen Amplitudenaenderung und hat mit Zeit grundsaetzlich nichts zu
tun.
Drehrichtung - Es sind grundsaetzlich zwei
Drehrichtungen moeglich, die fuer uns keinen wahrnehmbaren Unterschied machen.
Aus der Projektion einer Ansicht in die Zeitebene ist die Drehrichtung nicht
ersichtlich, sie ist nicht definiert. Bei manchen komplexen Anwendungen ist sie
aber von grosser Bedeutung. Man spricht dann von positiven und negativen
Frequenzen. Wenn bei einem frequency-shifter zB. beide Komponenten
dieselbe Drehrichtung haben, erhaelt man eine Verschiebung nach oben, bei
verschiedener Drehrichtung eine
Verschiebung nach unten.
In der Digitaltechnik bilden die positiven und negativen
Frequenzen ein geschlossenes zyklisches Kontinuum. Unterhalb der Frequenz 0
beginnen aufsteigend die negativen Frequenzen bis hin zur Grenzfrequenz, an der
sich positive und negative Frequenzen spiegeln.
Hilbert-Transformator
Unter der Annahme, dass nur Frequenzen der gleichen
Drehrichtung beteiligt sind, laesst sich zu jedem Klang eine asoziierte zweite
Komponente rekonstruieren, die zu jeder in dem Klang vorkommenenden
Sinusschwingung die entsprechende Cosinusschwingung enthaelt (90grd Phasenverschiebung).
Das
Verfahren ist in der Mathematik als Hilbert-Transformation bekannt
(benannt nach dem Mathematiker David Hilbert, 1862-1943).
Diese zweite
Komponente hoert sich praktisch genauso an wie die urspruengliche. Bei harten
Anschlaegen kann es aber doch kleine Unterschiede geben. Beide Komponenten
zusammen koennen wie stereo-Signale gespeichert und verarbeitet werden, sind
aber ihrer Bedeutung nach eben nicht 'stereo', sondern complex.
Umgekehrt kann aber jedes stereo-Signal sehrwohl als ein Gemisch aus positiven
und negativen Frequenzen beschrieben werden und auch als solches behandelt und
verarbeitet werden. (Will man aber in der Weiterverarbeitung die stereofone
Rauminformation erhalten, so muss man beide Kanaele getrennt complex aufbereiten).
Analog wird diese Aufbereitung (etwa im frequency-shifter)
durch sogenannte allpass-Filter bewerkstelligt, die fuer die eine Komponente
eine Phasenverschiebung von -45grd bewirken, fuer die andere eine um +45grd,
sodass sie zueinander auch wieder 90grd phasenverschoben sind.
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[P1] Guenther
Rabl CSFSPY
ein Programm (unter Windows 98,
NT oder 2000), das es ermoeglicht, die complexen Amplitudenbahnen in
zweikanaligen soundfiles zu studieren. Es funktioniert im Grunde wie ein
Phasenkorrelator oder wie ein Oszilloskop, nur, dass die sampling rate oder
Abspielgeschwindigkeit beliebig langsam gewaehlt werden kann, sodass man die
Bewegungen tatsaechlich optisch verfolgen kann. Man sieht die verlangsamte
zeitliche Entwicklung einer Schwingung sozusagen 'frontal'.