ELECTRIC OPRPHEUS ACADEMY
SPILLING THE BEANS
#9 DELLENHAMMER UND BEULENHAMMER
oder: Die Babylonische DSP-Verwirrung
Wenn ich mich vor mein Auto stelle und mit einem Hammer fest auf dessen
Karosserie klopfe, erzeuge ich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Delle.
Begebe ich mich aber ins Innere meines Autos und klopfe von dort gegen
die Karosserie, dann erzeuge ich - von aussen betrachtet - eine Beule.
(Es funktioniert übrigens auch bei fremden Autos. Jeder Spengler
weiss das). sfload anysound.wav sfload anysound.wav sfload anysound.wav
Müssen wir nun deshalb zwischen einem 'Dellenhammer' und einem 'Beulenhammer'
unterscheiden, um das Phänomen zu verstehen ?
Wohl kaum: Das Werkzeug ist in jedem Fall schlicht und einfach ein Hammer,
der Rest ist Perspektive. Genaugenommen zwei Perspektiven: die der Anwendung
und die der Auswirkung.
So hanebüchen dieses Beispiel auch scheinen mag, ich nehme es als
Gleichnis für die Wirrnis in den Benennungen in der Welt des Digital-Signal-Processing
und der Audio-Effekte, mit denen wir täglich zu tun haben.
Freilich sind die Perspektiven etwas komplizierter, nicht einfach 'drinnen'
und 'draussen', durch eine Körperdrehung zu wechseln. Aber im Grunde
geht es immer um eine Perspektive, in der man etwas bewirkt - und eine
andere Perspektive, aus der man die Wirkung beurteilt.
Au Weh, wenn das in der Kommunikation nicht klar ist ! Dann ist die 'pitch-phase-time-shift-stretch-spec-Verwirrung'
perfekt.
Dabei geht es mir nicht so sehr um die Benennungen selber. Wenn man etwas
erfindet oder entdeckt, dann muss man es irgendwie benennen, wenn man
sich mit anderen darüber unterhalten möchte. Nicht immer sind
solche Erstbenennungen, die dann von der Fachwelt übernommen werden,
glücklich. [Man denke nur an die 'imaginären Zahlen'. C.F.Gauss
war der Ansicht, dass die complexen und imaginären Zahlen für
viele Menschen nur deshalb so schwer verständlich sind, weil ihre
Benennung so unglücklich ist]. Nicht selten sind sie auch uneinheitlich.
Viel wichtiger als das ist aber, worauf sie sich beziehen. Wird damit
ein 'Werkzeug', ein Verfahren benannt, oder ein Phänomen seiner Auswirkung
aus irgendeiner Perspektive ?
Im zweiten Fall wird es schwierig, wenn wir gelegentlich die Perspektive
wechseln wollen. Dann bräuchten wir eigentlich in jeder Perspektive
(Ebene oder domain) einen eigenen Namen für dieselbe Sache. Ein Balanceakt
auch mit nur zwei Ebenen, ein Ding der Unmöglichkeit bei mehreren.
Und es entgehen uns die grossen Zusammenhänge, die wir kompositorisch
nützen und dadurch zu neuen ästhetischen Konsequenzen vordringen
könnten !
Ein Beispiel: Filter.
Jede/r, der oder die mit Elektroakustik oder Nachrichtentechnik zu tun
hat, weiss mehr oder weniger, was ein Filter ist.
Was passiert aber, wenn ich ein Filter im Spektrum anwende ? - Stop !
Nein ! - Ich meine nicht: Was muss ich im Spektrum tun, damit in der zeitlichen
Perspektive soetwas wie Filterung passiert. Ich meine: Wie wirkt es sich
aus, wenn ich diese Routine, die im zeitlichen Kontext Filterung heisst,
im Spektrum anwende ?
In VASP:
lp2 500hz
ovp
Und jetzt so:
FFT
lp2 500hz
FFT-
ovp
(ovp ist optimize, view and play. FFT ist eine 'giant' FFT über den
ganzen Klang).
Und wie wär's mit einer Ebene dazwischen ? - Fraktionale Fouriere Transformation:
FRACFT 45deg
lp2 500hz
FRACFT -45deg
ovp
[Wer mit FRACFT arbeitet sollte, als Faustregel, nur den halben Buffer
verwenden, besser sogar noch etwas weniger. Ansonste können alias-Phänomene
auftreten, die irgendwo in Zeit und Frequenz beheimatet sind].
* * *
Solche Perspektivenwechsel kann man üben.
Ich bin nicht der Meinung, dass Musiker/innen sich unbedingt mit Mathematik
beschäftigen müssen. Ich finde aber doch, es schadete ihnen nicht.
Manches wäre leichter kommunizierbar.
Der Perspektivenwechsel ist ausserdem keine mathematische Angelegenheit.
Wenn man einmal weiss, dass es eine kontinuierliche und umkehrbare Frequenz/Zeit-Transformation
gibt, ist das eigentlich verpflichtend.
Freilich, wenn man täglich nur ein paar Schritte ins nächste Wirtshaus
und wieder zurück geht, dann reicht die Vorstellung, dass die Erde
eine Scheibe ist, völlig. Wenn man weiter will, sollte man aber doch
berücksichtigen, dass sie eine Kugel ist. (Und wenn man noch weiter
will, muss man sich vielleicht wieder etwas anderes einfallen lassen).
akueto
G.R.
(c) Günther Rabl 2010