ELECTRIC OPRPHEUS ACADEMY
SPILLING THE BEANS #2 CURLY

Was mit 'präpariertes Klavier' gemeint ist, darf ich als bekannt voraussetzen: An den Klaviersaiten werden verschiedenste Gegenstände befestigt, um den Klangtypus zu verändern (Holzstücke, Gummi, Schrauben, Folien ...). In der neuen Musik des zwanzigsten Jahrhunderts war das zeitweise grosse Mode und ist auch heute als Methode aus der experimentellen Musik nicht mehr wegzudenken.
Eine systematische Auseinandersetzung mit den spektralen Veränderungen durch Präparation hat meines Wissens dennoch kaum stattgefunden. Das kann den einfachen Grund haben, dass bei den höheren Klaviertönen immer zwei oder drei Saiten eng beieinanderliegen und dadurch andere Effekte im Vordergrund stehen (Koppelung, Mehrklänge, Dämpfung, Resonanzen ...). An Gitarre, Cello Kontrabass oder Harfe - am Monochord kurz gesagt - lässt sich das deutlicher studieren. Ende der Siebzigerjahre hab ich mich damit ausführlich beschäftigt und auch eine Näherungsformel für die Veränderung der Teiltöne gefunden, mit deren Hilfe ich zwei kammermusikartige Tonbandstücke komponiert habe, TRIO I (1979) und TRIO II (1982), von denen nur das erste realisiert ist, veröffentlicht auf WERKE 3 (ccr 403).
Das zweite Trio sperrte sich damals gegen eine Realisierung, weil der ausgewählte Klangtypus, bei dem sich der Dur-Dreiklang in der Teiltonreihe in einen Moll-Dreiklang verwandelt, mit dem Bogen gestrichen fast nicht zu produzieren und zu halten war. Zwei Fragmente existieren aber davon. Das eine sind Kontrabass- und Cellotöne, auf Tonband montiert; das andere ist ein späterer Versuch mit meinem physikalischen Modell, am Computer generiert.

demo02_trio2_cut.mp3
demo02_trio2_gen.mp3

(Mir ging es dabei mehr um den Klangtypus, als um illusionistische Nachbildung. Jede der beiden Varianten hat ihre spezifischen Vorteile und ich möchte sie weder missen, noch verwechseln. Darüber liesse sich noch viel sagen, besonders in Hinblick auf eine nach immer grösserer Perfektion strebenden Illusionsindustrie. Davon ein andermal).

Der Idealfall so einer Präparierung sieht vor, dass man an einer bestimmten Stelle der Saite ein Gewicht befestigt, wobei das Gewicht möglichst punktförmig sein soll, nicht dämpft und nicht scheppert. Die Auswirkungen für jeden einzelnen Teilton der Saitenschwingung lassen sich dabei grob so beschreiben:
Teiltöne, die an der Stelle des Gewichtes einen Schwingungsknoten haben (einen Flageolettpunkt), werden nicht verändert, alle anderen werden in ihrer Frequenz abgesenkt, und zwar umso mehr, je mehr ihre Schwingung das Gewicht bewegen muss. Teiltöne, die an der Stelle des Gewichtes ein Maximum haben, weden folglich am meisten abgesenkt. Da die Veränderung kontinuierlich von der Grösse des Gewichtes abhängt, lassen sich damit systematisch 'unharmonische' Klänge erzielen.

Soweit sogut. Lässt sich aber ein Klavier präparieren, wenn man nur mehr eine Aufnahme davon hat ? - Natürlich nicht !
Also doch:
Die angedeutete Veränderung der Frequenzen der Teiltöne lässt sich nämlich auch auf das gesamte Spektrum anwenden. Man kann sich das so vorstellen. Man wählt eine 'Saite' für die Präparation (dh. die Grundfrequenz), eine Position der Präperation und ein relatives Gewicht (im Verhältnis zum Saitengewicht). Das Schema der Veränderung der Frequenzen wendet man aber nicht nur auf die Obertöne dieser Saite an, sondern auf sämtliche Frequenzen des Spektrums.
Zeichnet man die Veränderungen in ein Diagramm, als Kennline, dann ergibt sich, je nach den Parametern, eine mehr oder weniger deutliche Wellenlinie: curly.



Das Diagramm zeigt zwei Einstellungen (die Wellenlinien nach unten) sowie deren Umkehrungen (nach oben). Erstaunlich daran - das gilt auch für die physikalisch präparierte Saite - ist, dass die Ordnung der Teiltöne (Frequenzen) sich verkehren kann. Ein hoher Teilton kann in seiner Frequenz tiefer sinken, als benachbarte tiefere. Eine extreme Form von warping (nichtlineare Veränderungen des Spektrums, 'krümmen'), die nicht nur auf die Frequenzen, sondern auch auf die zeitliche Struktur des Klanges starke Auswirkungen hat. Wie alle derartigen nichtlinearen spektralen Veränderungen zeigen sie ihre 'reine' Form nur in der granularen Anwendung.

a144a_curly.mp3

Ein kurzes Motiv von C.Teuscher (today1), bei dem 880hz als Grundfrequenz angenommen ist und ein Gewicht von 0.3 (30% der ideellen Saite) an der Position 0.2 (gemessen an der ideellen Saitenlänge 1.0).
Als AMP-script sieht das so aus:

i1=today1.wav (s)
k1=spec.curly (s,*i1,dim=4000)
out=a144a_curly.wav (2:2,*k1)
seg=1
dur: 21
k1.center: 880
k1.relpos: 0.2
k1.weight: 0.3

Auch in VASP gibt es solche spektralen Krümmungen, wobei man aber bedenken muss, dass die Anwendung in einem ganzheitlichen Spektrum (nicht granular) auch starke zeitliche Phänomene (eine Art Glissando) nach sich zieht, die aber durchaus reizvoll sein können.

sfload today1.wav
FFT
xwarp.curly 880hz,0.2,0.3
FFT-
play

v144a_curly.mp3

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass in beiden Fällen eigentlich eine Umkehrfunktion dieser 'Präparation' angewendet wird, die aber einen ähnlichen Charakter aufweist. Mit einem negativen Parameter für das relative Gewicht lässt sich die Originalfunktion annähern. akueto
G.R.


(c) Günther Rabl 2010