ELECTRIC OPRPHEUS ACADEMY
SPILLING THE BEANS #11 FREQUENCY SHIFT
Phänomenologie Wichtiger Hinweis:
Frequency-shift ist lineare Frequenzverschiebung - eine echte, reversible
Transposition, mittels der die Frequenzen eines Klanges verändert
werden können, ohne dass sich an dessen zeitlichem und dynamischem
Verlauf etwas ändert.
[Bitte nicht verwechseln mit 'pitch-shift', und schon gar nicht mit
den diffusen Vorstellungen, die vielfach mit pitch-shift verbunden sind
!]
Lineare Frequenzverschiebung: Das heisst, die Abstände aller Frequenzen
zueinander bleiben erhalten, ihre Proportionen (Intervalle) verändern
sich. Bei einer Verschiebung nach oben werden sie kleiner, bei einer nach
unten grösser.
Als einfaches Beispiel ein Klang aus 3 Sinustönen:
100hz - 200hz - 400hz
Harmonisch sind das Grundton, Oktave und Doppeloktave.
Verschieben wir diesen Klang um 800hz nach oben, dann erhalten wir die
neuen Frequenzen:
800hz - 900hz - 1200hz
Das sind nun ein Ganzton (9/8) und eine Quint (12/8 oder 3/2) über
dem neuen 'Grundton'.
Dasselbe 50hz nach unten ergibt:
50hz - 150hz - 350hz
Eine Intervallproportion von 1:3:7 (Grundton, Quint+Oktave, Septime+Doppekoktaven
- nämlich die etwas kleinere Septime 7/4)
An diesen Beispielen sieht man leicht, weshalb das Verfahren in Konflikt
mit einem vorgegebenen Tonsystem geraten kann. Nicht nur gehen die ursprünglichen
Intervallproportionen verloren, es entstehen auch neue, die sich in der
Regel nicht in das Tonsystem einfügen.
Es sei denn, die Obertonreihe der ganzzahligen Teiltöne selber wäre
das Tonsystem, wie etwa beim Obertongesang. Dann lassen sich nämlich
Motive durch Verschiebung um ein Vielfaches des Grundtones in eine andere
harmonische Lage bringen.
Dazu das Beispiel einer Obertonflöte:
obertonfloete_original.mp3
Die Flötenmelodie beginnt mit der kleinen Terz zwischen dem 5. und
dem 6. Oberton. (Wir geben nicht der Oktave, sondern dem Grundton die
Nummer 1, denn dann sind die Intervalle auf einen Blick ersichtlich).
Durch eine Verschiebung um die dreifache Grundfrequenz nach oben geraten
diese zwei Anfangstöne in den Breich des 8. und 9. Obertones und
bilden somit eine grosse Sekund:
obertonfloete_upshift3.mp3
Um die zweifache Grundfrequenz nach unten verschoben, mit alias-Filter:
obertonfloete_downshift2.mp3
[Die Obertonflöte ist ein langes, dünnes Kupferrohr mit
einem Blockflötenmundstück. Durch Variieren des Anblasdruckes
lassen sich die verschiedenen Obertöne hervorrufen. Das 'Perkussionsinstrument'
ist ein Grillrost, wie er in jedem nächstbesten Herd zu finden ist.]
* * *
Generell müssen wir hinsichtlich des zu bearbeitenden Materials unterscheiden
zwischen:
a) Klangmaterial mit ganzzahliger Obertonstruktur (praktisch alle Streich-
Zupf- und Blasinstrumente inklusive der menschlichen Singstimme)
b) Klangmaterial mit beliebig andere Teiltonstruktur (Schlaginstrumente,
flächige Klangerzeuger wie Platten, Glocken, Becken; präparierte
Instrumente; alle Arten von Rauschen, Wasser und Wind - nicht zuletzt
auch die Nebengeräusche und Anklänge sowie die Konsonanten der
menschlichen Stimme)
[In älteren Lehrbüchern findet man für diese Unterscheidung
noch die Bezeichnungen 'harmonische' und 'unharmonische' Klänge.
Solange das nicht wertend oder ausgrenzend gemeint ist, kann man das meinetwegen
übernehmen]
a) harmonisches Klangmaterial
Wie gerade demonstriert, können ganzzahlige Obtertonreihen durch
Frequenzverschiebung mit sich selber zur Deckung gebracht werden. Im Extremfall,
bei sehr scharfen, starren Klängen, wirkt das wie eine Filterung.
Denn die Obertonreihe bleibt scheinbar die gleiche, nur die tiefen Frequenzen
fehlen mehr oder weniger.
Verschiebungen mit Bruchteilen der Grundfrequenz decken sich zwar nicht
mehr mit der ursprünglichen Obertonreihe, sind aber wiederum als
Teile einer ganzzahligen Reihe mit tieferem Grundton interpretierbar.
Der ursprügliche Grundton bleibt in den Differenzfrequenzen der aufeinanderfolgenden
Teiltöne stets erhalten, egal welches Intervall sie gerade bilden.
Das heisst aber auch , dass er sich mit jeder Verzerrung, die zu Kobinatinonstönen
führt, wieder rekonstruiert! Solche Verzerrungen können durch
Übersteuerung entstehen, durch schlechte Glieder in der Übertragungskette
(Verstärker, Lautsprecher), aber auch direkt im Ohr, wenn ein geshifteter
Klang zu laut gespielt wird.
Man sollte daher vor allem schmalbandige Klänge von diesem Typus
sehr vorsichtig einsetzt - es sei denn man möchte solche, meist unangenehme,
Interferenzen bewirken ....
Will man mit verschiedenen Transpositionen ein- und desselben Klanges
motivisch arbeiten, ähnlich wie das auch mit Tempotransposition oder
pitch-shift möglich wäre (wobei alle Frequenzen proportional
versetzt würden, nicht linear), dann zeigt sich ein seltsames Phänomen:
Es gibt keinen harmonischen Konflikt; es gibt nicht soetwas wie 'Konsonanz'
und 'Dissonanz'. Entweder die Teiltöne kommen zur Deckung, oder nicht,
oder sie liegen so nahe neben der Deckung, dass eine Schwebung entsteht,
die für alle Frequenz-Paare dieselbe ist.
b) unharmonische Klänge
Ganz anders verhält es sich mit unharmonischem Klangmaterial.
Da gibt es keine einheitlichen Differenzfrequenzen. Aus der Transposition
eines Klanges ist sein Originalzustand nicht mehr ersichtlich; kann weder
durch Verzerrung noch psychoakustisch rekonstruiert werden. Jede Transposition
kann mit jeder anderen sowie mit dem Original melodisch und harmonisch
in Beziehung treten. Nur gibt es keine allgemeine 'Harmonielehre' dazu.
Das soll aber nicht heissen, dass nicht doch Gesetzmässigkeiten zu
finden wären, diese gelten jedoch in der Regel nur für den einen,
individuellen Fall.
Ein Ausschnitt aus 'Watersong' von Limpe Fuchs (Field recording und Lithophon):
limpe6.mp3
Derselbe Ausschnitt mit upshift 550hz
limpe6_upshift550.mp3
und downshift 550hz, mit nachgeschaltetem alias-Filter
limpe6_downshift550alf.mp3
Ein kanonartiges Gemisch aus dem Original und 3 Transpositionen (kunstlos):
limpe6_shiftmix.mp3
Kombiniert man frequency-shift mit proportionalen
Frequencveränderungen wie Tempotransposition oder pitch-shift, so
kann man damit motivisch arbeiten, indem man die beiden unterschiedlichen
Verfahren gegeneinander ausbalanciert.
(>> ATEM, Werke 3, ccr403)
Nicht wenige Aufnahmen, selbst profesionelle, haben 'offset': das heisst,
einen Anteil von extrem tiefen Frequenzen (unter 10hz), wenn nicht überhaupt
Gleichspannung. Das fällt normalerweise nicht weiter auf, da die
Übertragungswege
(Lautsprecher) das sowieso nicht bringen. Für
den frequency-shift gilt das aber als 0Hz, wird korrekt verschoben und
ist dann als penetranter Pfeifton bemerkbar. Facit: offset-Filter verwenden
! (zb. rmo in VASP oder
AMP).
Funktion
Funktionell gesehen ist frequency-shift schlicht und einfach eine Multiplikation.
Ein Vorläufer davon ist die Rinmodulation.
[Die Bezeichnung führt etwas in die Irre. Sie bezieht sich bloss
auf eine bestimmte Schaltungstechnik...]
Der Ringmodulator multipliziert die beiden inputs. Dasselbe macht auch
der frequency-shifter, nur complex. (Eine Unterscheidung der beiden inputs
in 'signal' und 'carrier' hat mit technischen Problemen zu tun, grundsätzlich
sind sie gleichwertig). Während beim Ringmodulator der typische rauhe
sound durch das untrennbare Gemisch von oberem und unterem 'Seitenband'
entsteht (upshift und downshift), lässt sich das im frequency-shift
auswählen.
Es spricht somit nichts dagegen, an beide Eingänge beliebiges Klangmaterial
zu legen, das - nunmehr complex - multipliziert, das heisst complex moduliert
wird.
Die Frequenzverschiebung kann man sich dann so vorstellen, dass jede Frequenz
des einen Klanges mit jeder Frequenz des anderen Klanges eine neue Summenfrequenz
bildet. Vielfach liegen aber die Pegeleinbrüche oder Hüllkurvenmodulationen
im Vordergrund, die durch die Multiplikation der Amplituden entstehen.
Hier die complexe Modulation des Ausschnittes mit der Blasmusik, die im
vorigen Newsletter schon kurz aufgetaucht ist:
limpe6_mod_frank.mp3
Wenn die complexen Operationen grundsätzlich 2 Kanäle belegen,
wie verfährt man da mit stereo-Material ? Ganz einfach: für
beide Kanäle getrennt, wie im vorigen Beispiel. (Das VASP-script
dazu siehe unten).
akueto
G.R
(c) Günther Rabl 2011