#18 MERGE

ELECTRIC OPRPHEUS ACADEMY
SPILLING THE BEANS #18 MERGE

In der alten Studiotechnik konnte man die Verknüpfung zweier Klangmaterialien in zwei grosse Bereiche teilen: Mischen und Modulieren. Das eine ist seinem Wesen nach Addition, das andere Multiplikation (auf der Ebene der Wellenformen betrachtet, oder digital: sample für sample).
Wer die analoge Studiotechnik noch miterlebt hat, weiss, wieviele Mythen sich alleine um den scheinbar einfachen Vorgang des Abmischens rankten. Der Sound und das Image ganzer Labels hing davon ab ! Selbst, wenn man die Virtuosität und die Tricks der Aufnahmetechniker (von denen einige geradezu legendär wurden) beiseite lässt, gibt es noch genug Feinheiten, die sich klanglich auswirken: Der satte Klang von Röhrenmischpulten, der dünne Klang der ersten Generationen von Digitalmischpulten (die intern ihre wenigen Bit vergeudeten), usw.. In der modernen Digitaltechnik könnte man vieles davon nachbilden: Kennlinien, Sättigungen, Verzerrungen (>> Spilling the Beans #17); aber es gibt auch neue Methoden, durch die sich ein eigener, bisher unbekannter Sound der Mischung gestalten liesse. (Davon ein andermal).

Weniger Feinheiten sah man im Bereich der Modulation. Vielleicht einfach deshalb, weil sie auch weniger benutzt wurde. Da gab es 'Ringmodulation' und 'Amplitudenmodulation', wie man noch in alten Fachbüchern lesen kann. Beides wurde eher in der experimentellen elektronischen Musik verwendet, oder einfach als Effekt ('Roboterstimmen').
Beide Bezeichnungen brauchen wir heute nicht mehr. 'Ringmodulation' bezog sich auf eine bestimmte Schaltungstechnik, 'Amplitudenmodulation' war mehrdeutig, eine Kombination elementarer Methoden, in deren Zentrum immer die Multiplikation stand.
Hier zwei Beispiele von Modulation, erst Ringmodulation (Multiplikation sample fuer sample):

A:
sfload mono_sound1.wav
B:
sfload mono_sound2.wav
vmul

und eine Form von Amplitudenmodulation (Multiplikation des einen samples mit dem Absolutwert des anderen):

A:
sfload mono_sound1.wav
B:
sfload mono_sound2.wav
abs
vmul

(vmul ist an sich eine complexe Multiplikation, die hier aber nur reelle Werte verknüpft).
Während die Ringmodulation, als pure Multiplikation 'kommutativ' ist (a*b führt zum selben Ergebnis wie b*a), gilt das für den Fall der Amplitudenmodulation nicht mehr. Unter dem Aspekt der Ungleichwertigkeit könnte man allerdings noch zahlreiche Abwandlungen finden, in denen eine Komponente mehr oder weniger vorbehandelt ist (Filterung, Hüllkurven, etc.).
[In der älteren Studiotechnik findet man noch eine andere Definition von 'Amplitudenmodulation'. Dabei wird die Amplitude des einen Klanges nur geringfügig durch den anderen verändern. So etwas lässt sich allerdings immer auf eine Ringmodulation mit dazugemischten Direktanteilen zurückführen.]

* * *

Ganz neue Perspektiven eröffnen sich wiedereinmal durch complexe Operationen. Die complexe Multiplikation führt beispielsweise zum frequency-shift, wenn eine der beiden Materialien ein Sinuston ist (>Spilling The beans #11). Auch die complexe Multiplikation beliebiger Materialien ist interessant.
Während bei der Ringmodulation Summen- und Differenzfrequenzen von allen Frequenzen in dem einen Klang mit allen in dem anderen Klang entstehen, was zu der typischen Rauigkeit führt, gibt es complex wahlweise nur Summen- oder nur Differenzfrequenzen (wenn man die Drehrichtung eines Klanges durch ein cjg umkehrt).

A:
sfload mono_sound1.wav
hilb
B:
sfload mono_sound2.wav
hilb
vmul

oder

vmul.cjg

Mittelwerte

Auch wenn die complexe Modulation keine ganz so starken Amplitudeneinbrüche aufweist, wie die reelle Ringmodulation, so hat sie doch diesen zerstörenden Charakter. Es besteht aber nun die Möglichkeit, anstelle der Multiplikation die klassischen Mittelwerte heranzuziehen.

Das arithmetische Mittel (a+b)/2 ist reell wie complex eine Trivialität, nämlich einfach eine Mischung mit halbem Pegel.
Das geometrische Mittel √(a*b) ist reell nicht verfügbar, weil auch negative Werte unter der Wurzel vorkommen. Complex ist es zwar auch nicht so einfach, weil es für eine complexe Wurzel unzählige Lösungen gibt (das zu ignorieren würde nur zu Knacksen führen), aber im stream lässt sie sich eindeutig lösen.
Desgleichen auch das quadratische Mittel √(a2+b2), auch 'root mean square' genannt.
Somit stehen zur Verfügung:
vmerge.gmean geometrisches Mittel
vmerge.rms quadratisches Mittel
vmerge.hmean harmonisches Mittel

Die verschiedenen Varianten complexer Mittelwerte zeigen einen ausgeglichenen Pegel. Beim geometrischen und harmonischen Mittel ist, auch wie bei den einfachen Modulationen, das Ergebnis 0, wenn eine der Komponenten 0 ist. Nicht so beim quadratischen Mittel: Ist eine der Komponenten 0 oder sehr gering, dann bleibt die andere unverändert erhalten. Was spektral passiert, lässt sich dagegen nicht so einfach sagen. In jedem Fall bilden sich Kombinationsfrequenzen beider Klänge, und Kombinationsfrequenzen von Kombinationsfrequenzen. Das macht auch die offensichtliche klangliche Dichte aus.
[Ich stelle hier Werkzeuge vor. Was sie bewirken, muss nicht das Endergebnis unserer Bemühungen sein. Es kann auch als 'Zwischenmaterial' dienen, das wieder weiter verarbeitet wird.]

* * *

Löst man sich von der Vorstellung, dass die beiden zu verknüpfenden, zu 'verschmelzenden' Klangmaterialien parallel, synchron vorgegeben sein müssen, dann nimmt die Fragestellung, wie man denn generell zwei Klangmaterialien verknüpfen kann, geradezu philosophische Dimensionen an. Davon ein andermal.

akueto,
G.R.

(c) Günther Rabl, 2013

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Mathematischer Anhang

Die Potenzen und Wurzeln complexer Zahlen betrachtet man am besten in Exponentialdarstellung:

(R*e)n = Rn * eiφ*n

Der Radius wird potenziert, der Drehwinkel multipliziert.
Das ist eindeutig, wenn n eine ganze Zahl ist. In allen anderen Fällen, so zum Beispiel für Wurzeln, wenn n<1 ist, ist der Winkel mehrdeutig und Sprungstellen stören das Ergebnis. Führt man aber die Progression des Winkels auf den Phasenschritt zurück, dann ist der Winkel im Verlauf eindeutig.
Eine complexe Wurzel liesse sich dann so schreiben:
rdphi                  "Konvertierung in Radius/Deltaphase"
dist.spow.x 0.5    "Potenzierung des Radius in x
scale 1,0.5           "Multiplikation der Deltaphase in y
rdphi-                  'Rückkonvertierung
Das lässt sich allerdings auch einfacher schreiben:
cdist 0.5

Bei der Anwendung der Wurzel für Mittelwertbildung ist allerdings darauf zu achten, dass kein Aliasing entsteht. Entweder durch Änderung der Reihenfolge:
√*(A*B) = √A * √B
oder durch oversampling, im Falle √(A2+B2)