Dieter Feichtner 1943-1999
Tondichter
Es war in dem heissen Sommer 1982, als ich Dieter Feichtner wieder einmal in mein Haus im Waldviertel einlud, um Aufnahmen für ein geplantes Solo-Album zu machen. Zu dieser Zeit hatte er noch sein Wohnmobil, das wir in der Wiese zwischen einem Schuppen und einer alten, verfallenen Kegelbahn aufstellten. (Folgerichtig hörte er dann auch allnächtlich Kegelpartien aus längst vergangener Zeit).
Dieters Instrumente wurden in meinem Studioraum aufgebaut – so, dass er die rotierenden Tonbandspulen von seinem Platz an den Keyboards nicht sehen konnte. Denn dergleichen irritierte ihn immer sehr. Es war ein Experiment und ein Abenteuer in jeder Hinsicht. Unser grundsätzliches Übereinkommen war: keine Mitmusiker, keine Zuhörer, keine übliche Studioarbeit, nur direkte, unverblümte Aufnahme.
Am Anfang ging alles nur stockend. Dieter verzweifelte daran, dass er von seinen stilistischen Imitationen nicht loskam und immer wieder ins 'Liedel-Spielen' abglitt, wie er es nannte. Er suchte einen ganz anderen Weg. Nach Tagen der Qual und der exzessiven Ausflüchte machte ich ihm den Vorschlag, einmal auf Hall und andere äusserliche Effekte zu verzichten und den puren, ungeschminkten Klängen seines elektronischen Instrumentariums ins Auge zu sehen. Der Erfolg war umwerfend: Gleich die erste Aufnahme, später 'Fliegenpilz I' genannt (ein wahrhaft furioses Stück Musik, das sich nach und nach aus dem Nichts entfaltet), setzte eine Entwicklung in Gang, die über zwei Jahrzehnte anhalten sollte und den Rahmen einer simplen Plattenaufnahme von Anfang an sprengte. Dieter betrachtete das ab nun als sein 'Werk', als seine eigentliche musikalische Hinterlassenschaft, die er mir vom Anfang an überantwortete.
Solche Aufnahme-Sessions gab es von nun an in unregelmässigen Abständen, jeweils in den Sommermonaten: 1982 in Irnfritz, 1986 in meinem Zwischendomizil, der alten Schule von Allentsgschwendt, und später in meinem Anwesen in Rastenberg 1988, 1989, 1993 und 1997. Dieter bekam einen eigenen Raum, wenn es warm genug war meistens den Tattersall (eine kleine halboffene Halle, die früher als Auslauf für Pferde verwendet wurde), in dem sein ganzes elektronisches Instrumentarium aufgebaut war. Hier konnte er zu jeder Tages- und Nachtzeit ungehindert spielen und in die Welt hinaus jubilieren. Das war sehr wichtig, denn abgeschottete geschlossene Räume, wie sie sonst in Aufnahmestudios üblich sind, waren nie nach seinem Geschmack und festgelegte Arbeitszeiten seinem intuitiven Wesen zutiefst zuwider.
Im Nachhinein ist es erstaunlich, dass soetwas überhaupt möglich war. In einer städtischen Umgebung hätte es schon am ersten Tag Anzeigen gehagelt, denn Dieter schöpfte das Volumen seiner Anlage gerne voll aus und das ganze Tal hallte davon wider – nicht selten auch um Mitternacht oder um vier Uhr morgens.
Der main-output seiner Anlage war dabei unverändert – genauso, wie er auch in die Lautsprecher ging – ständig direkt mit den Aufnahmemaschinen in meinem Studioraum verbunden und Dieter war somit rund um die Uhr online. Meine Aufgabe dabei war lediglich, im richtigen Moment, nicht selten aus dem Schlaf heraus, die Aufnahme zu starten und gelegentlich die Bänder zu wechseln.
Auch die einmal gefundene Pegeleinstellung blieb während der ganzen Zeit unverändert, sodass die ganze dynamische Spannweite seines Spiels, von intimer Zurücknahme bis zur vollen orchestralen Wucht, in den Originalaufnahmen festgehalten ist. Diese Aufnahmen hörten wir von Zeit zu Zeit durch und entschieden dann sehr schnell, was aufbewahrt werden soll und was gleich wieder gelöscht werden konnte.
Ich bin heute noch froh darüber, dass ich Dieter von Anfang an davon überzeugen konnte, auf die Segnungen der modernen Studiotechnik zu verzichten: keine nachträglichen Effekte, keine Sound-Kosmetik, keine overdubs und Abmischungen – lediglich Aufnahme 1:1 mit fixen Einstellungen. Wären wir in einem tontechnischen Sinn an die Sache herangegangen, dann hätten wir jetzt eine Sammlung mehr oder weniger beeindruckender nostalgischer Tondokumente. So aber haben wir die authentische Musik, die wir heute über Lautsprecher genauso hören können, wie sie Dieter selber im Moment ihrer Entstehung über Lautsprecher gespielt hat !
1989 habe ich dann zusammen mit Dieter einen Teil der bis dahin gemachten Aufnahmen unter dem Titel EUPHORISMEN in Form einer Subskription auf zwei CDs veröffentlicht.
Durchbruch, in einem trivialen Sinn, war es keiner. Immerhin konnten wir unsere Kosten hereinbringen und doch eine Reihe neuer Musikfreunde gewinnen, die von der Einzigartigkeit dieser Musik auf Anhieb zu überzeugen waren. Nicht wenige aus dem grossen Kreis von Dieters Freunden und Bekannten verhielten sich aber auch reserviert bis ablehnend. Das war nicht ihr Dieter, so wie sie ihn kannten und verehrten, liebten und auch hassten. Manche mochten diese Aufnahmen, Dieters andere Seite, nicht. (Weniger feinfühlige Menschen brachten das auch unverholen zum Ausdruck). Dieter selber kommentierte diesen Sachverhalt, der ihm nicht entgehen konnte, wenn überhaupt, dann ganz trocken und unemotional, ohne Ressentiment. Das Unternehmen 'Lebenswerk' ging ohne
Inkonsequenz und ohne falsche Rücksichtnahme weiter.
Heute ist das anders: Eine junge Generation von sinnlich und stilistisch offenen Musikliebhabern ist gerade dabei Dieter Feichtner neu zu entdecken. Die menschlichen Aspekte, Dieters bewunderte, wie gefürchtete hemmungslose Vitalität, erschliessen sich heute durch die Titanenhaftigkeit seiner Musik, und nicht umgekehrt. Gerne hört man die unzähligen Anekdoten, auch die schlimmen, aber die Musik steht im Vordergrund.
Lehrreich ist auch die Erfahrung, dass einem solche musikalische Grösse jahrzehntelang medial vorenthalten werden konnte. Sie beschämt das schiefe Weltbild künstlerischer Wertigkeiten, dem wir medial ausgeliefert sind und mahnt einmal mehr dazu, die wertvollen Dinge des Lebens auf eigene Faust zu suchen, unbeirrt von gepushten Trends und affektierter Kultur.
August 2005
Günther Rabl |