Konzert und Ausstellung zum 66. Geburtstag des Synthesizer-Virtuosen
Dieter Feichtner (1943-1999)
direct recordings & overdubs
Musik: Dieter Feichtner
Akustische Inszenierung und Klangregie: Günther Rabl
Organisation: Thomas Gorbach
Lichtgestaltung: Piotr Znaimowsky
Ausstellungsgestaltung: Jörg Huber, Thomas Gorbach
Aufbau: Richard Bruzek, Stephan Roth
special thanks to Erik und Samaela Bilic
Programm:
EUPHORISMUS II 1988, 16min
KRONPRONZ RUDOLFS TRAUM 1977, 23min (including: hallo
– yeah – aufwachen!)
MUE DER WANDERER 1986, 4min
EUPHORISMUS I 1988, 25min (mit dem obligaten Heimatlied
am Schluss)
The UNITED BANAL ORCHESTRA – ein Sammlung von Lautsprechern speziell zur räumlichen Inszenierung elektroakustischer Musik
15. Juni 2009, 21h
TU Wien, Prechtlsaal
supported by the electroacoustic project / ostblock rekords / untersberg
fond / jörg huber
TU Wien Prechtlsaal
Foto:Thomas Gorbach
TU Wien Prechtlsaal PRABOW SCHEIBE
Foto:Thomas Gorbach
Dieter Feichtner Grafiken
Foto:Thomas Gorbach
Günther Rabl
Foto:Thomas Gorbach
TU Wien Prechtlsaal PRABOW SCHEIBE
Foto:Thomas Gorbach
TU Wien Prechtlsaal PRABOW SCHEIBE
Foto:Thomas Gorbach
Günther Rabl PRABOW SCHEIBE
Foto:Thomas Gorbach
Dieter Feichtner
Der Synthesizerspieler Dieter Feichtner, einer der grössten und
exzessivsten Musikanten des zwanzigsten Jahhunderts, wäre am 15.Juni
2009 sechsundsechzig Jahre alt geworden. Er verstarb am Todestag Mozarts,
am 5.Dezember 1999 in Salzburg, nachdem er wiederholt angekündigt
hatte, das Jahr 2000 nicht erleben zu wollen.
Den Jazzliebhabern ist er vielleicht noch in Erinnerung als vierter
Musiker im legendären John Surman Trio, mit Tourneen durch ganz
Europa sowie einem einmonatigen Gastspiel an der Pariser Oper und mehreren
Schallplatten-Einspielungen. Weniger bekannt ist, dass er auch ein umfangreiches
Oeuvre an Soloeinspielungen hinterlassen hat, das zum Grossteil noch
seiner Veröffentlichung harrt.
In seiner Jugend erlernte er verschiedene Instrumente und studierte
vorübergehend auch am Mozarteum in Salzburg. Er lernte Klavier
- das erklärt seine Wendigkeit an den keyboards; er lernte Schlagzeug
- das erklärt seine rhythmische Sicherheit; er lernte Kontrabass
- das erklärt seine vortrefflich eingesetzten tiefen Töne
und seinen Sinn für Klanglichkeit.
Alles zusammen erklärt wenig. Mir ist kein anderer Musiker bekannt,
der sich am Synthesizer so weit vom 'keyboarder' entfernt hat, wie Dieter
Feichtner. Er verwendete sein Equipment als eine einzige, grosse Musikmaschine
- nicht unähnlich der Art und Weise, wie man heute mit einem Laptop
Musik macht.
Nur mit dem Unterschied, dass er - auch wo er sich in sinfonische Welten
und experimentelle Klanglandschaften verstieg - niemals den musikantischen
Ansatz aus den Augen verlor. 'Euphorismen', wie er das selber nannte.
Er 'spielte' Musik nicht, er jubilierte sie !
direct recordings
Dieter Feichtners Instrument war der Synthesizer. Genaugenommen mehrere
Synthesizer und Effektgeräte, die ihm Georg Danczul zu einem Netzwerk
verbunden hatte, in dem sich alles mit allem kombinieren und steuern
liess: sein "Raumschiff".
Dieter spielte äusserst emotional und konzentriert. Leute, die
ihm dabei über die Schulter schauen durften, waren allerdings nicht
selten verblüfft. Manchmal hämmerte er Dinge in die Tasten,
die nicht zu hören waren, die sich erst später auswirken sollten,
während Sequenzen abrollten, die früher aufgebaut - unter
Umständen tagelang entwickelt waren. Dann drehte er wieder an Knöpfen
und legte Steckverbindungen, während die Musik aus der Anlage nur
so heraussprudelte. Dieter erzählte diesbezüglich gerne die
Anekdote von einem Kiebitz, der ihm eine Weile zuschaute, um dann die
denkwürdigen Worte zu finden: "Du spielst ja gar net wirklich
!".
Was immer auf diese Weise zustandekam: das letzte Glied in der Kette
waren ein Verstärker und zwei Lautsprecher, durch die das alles
erst hörbar wurde.
Man kann es als einen Glücksfall in der Musikgeschichte betrachten,
dass sich diese Art Musik zu schaffen genau an dem Punkt anzapfen und
in einer Aufnahme 1:1 festhalten liess. Wir können diese Musik
im Prinzip heute genauso hören wie sie damals erklungen ist. Nicht
als Raumaufnahme, als Abbild einer Siutation, als Dokument, sondern
eben 'direct recording'. Es ist somit der Grenzfall einer Musik von
Tonträger, die ich bei meinen ersten Festivals - aus guten Gründen
- Absolute Musik genannt habe. Abgeschlossen und nicht weiter rückführbar.
Ideal für akustische Inszenierung über viele Lautsprecher,
wie das hier in dieser Konzertserie Tradition hat.
Tatsächlich standen die ersten Aufnahmen 1982 noch unter dem Aspekt,
dass es eine Schallplatte werden sollte. Dieser Anlass war bald aus
den Augen verloren. Es wurde uns sehr schnell klar, dass es um die Werke
geht, die auf diese Weise entstehen und nicht um eine Veröffentlichung.
Unser grundsätzliches Übereinkommen war: keine Mitmusiker,
keine Zuhörer, keine übliche Studioarbeit, nur direkte, unverblümte
Aufnahme. Solche Aufnahme-Sessions gab es von da an in unregelmässigen
Abständen, jeweils in den Sommermonaten.
1988 war eins der ergiebigsten Jahre. Dieter bekam eine ehemalige Reithalle,
in der er Tag und Nacht ungehindert spielen konnte. Wir hatten kaum
sein Equipment aufgebaut, als wir überraschend Besuch bekamen.
Ein Freund, der damals einen PA-Verleih betrieb, war gerade in der Gegend
und überliess uns eine grosse, kräftige Lautsprecheranlage
zum Ausprobieren. Dieter war in seinem Element. Innerhalb weniger Tagen
entstanden Werke, die ihn auf der Höhe seiner sinfonischen Improvisationskunst
zeigen: EUPHORISMUS I und II sowie mehrere kleinere Werke und Fragmente.
MUE DER WANDERER
1986, Allentsgschwendt
Dieter hatte damals eine schwierige Zeit - in jeder Hinsicht. Er war
von Zweifeln und Depressionen heimgesucht, in denen sich eine Umstellung
ankündigte.
Die Ausbeute an Aufnahmen war dementsprechend gering und von sehr unterschiedlichem
Charakter. Manchmal gelang es ihm aber, die Verzweiflung in Wehmut zu
transfromieren oder sogar in eine gelassene Ruhe, wie in diesem kurzen
Stück, das aus einem einzigen grossen Bogen besteht.
KRONPRINZ RUDOLFS TRAUM
Neupölla 1977, Originalfassung, 25min stereo
Filmmusik zu dem Experimentalfilm "Einsteins Traum" von Karl
Heinz Koller (1943-1995)
Synthesizer und Stimme: Dieter Feichtner
Schnitt und Montage: Günther Rabl
Eines Tages kam Dieter Feichtner mit dem Anliegen zu mir, ob wir im
Sommer in meinem Studio Aufnahmen für eine Filmmusik machen könnten.
Wir bauten Dieters Ausrüstung in einem der Räume des alten
Landschlosses auf, in dem ich damals mein Studio hatte, und ein Projektor
mit dem fertigen Film wurde angeliefert.
Zunächst versuchten wir es auf die einfache Art und Dieter improvisierte
zu dem laufenden Film. Da zeigte sich aber gleich ein Problem: Entweder
versank Dieter fasziniert in die langen Zoomfahrten des Filmes und vergass
zu spielen; oder er geriet ins Spielen und vergass den Film.
So ging's also nicht.
In den folgenden Tagen machten wir Aufnahmen, ohne uns um den Film weiter
zu kümmern. Dieter improvisierte auf seinen Synthesizern, oder
sang, oder erfand Geschichten aus dem Stegreif, in denen "Kronprinz
Rudolf" immer wieder eine zentrale Rolle spielte. Wie üblich
unter einem unaufhörlichen Kommen und Gehen von Freunden und Freunden
von Freunden sowie Leuten, die keiner kannte. Ein Fest sozusagen.
Nach zwei Wochen hatten wir tatsächlich eine Unmenge von aufgenommenem
Material aller Art und Qualität - aber keine Filmmusik. Die Situation
wurde unerträglich. Ich setzte mich daher eine Nacht lang hin und
montierte und mischte aus vielen einzelnen Fragmenten die Synchronfassung,
wie sie hier vorliegt.
Karl Heinz, der Filmemacher, war allerdings nicht ganz zufrieden damit.
Bei aller Freundschaft empfand er manche Stellen als "zu agressiv",
er hätte sich eher "spacige" Sounds gewünscht, die
mit dem magischen Duktus seiner Zooms korrespondieren. Da sich auch
die Schnittfassung des Filmes nocheinmal änderte, liess er die
Musik nach seinen Wünschen adaptieren. (Der Film "Einsteins
Traum" wurde in dieser Fassung 1989 im Rahmen meines Festivals
ABSOLUTE MUSIK in Allentsteig aufgeführt).
Einige Jahre später, kurz vor seinem Tod, gab mir Karl Heinz das
Original zurück, das seither als eigenständiges Werk das Repertoir
der elektroakustischen Musik bereichert. Man kann es als Vorläufer
der "direct recordings" betrachten, die fünf Jahre später
beginnen sollten.
Die Rezeption von Dieter Feichtner in der musikalischen Fachwelt
In den Siebzigerjahren erntete Dieter Feichtner enthusiastische Kritiken. Er liebte es in Kirchen zu spielen, was seiner damaligen Ästhetik entsprach - meditative langgezogene Klänge und suggestive Sequenzen. "Ein Hohepriester des Klanges", "Elektronik aus der Seele", "Schallgebete am Synthesizer" - so titelten die Zeitungen seiner Heimatstadt Salzburg. Der einflussreiche Melody Maker beschrieb seine Musik gar als "Klanglandschaften, von denen Joe Zawinul nur träumen kann".
Die ästhetische Wendung, die sein Schaffen in den Achzigerjahren genommen hatte, konnten manche allerdings nicht mitmachen. Als "too far out" empfanden das seine alten Gefährten, die über ihre stilistischen Grenzen (Jazz und Blues) nicht hinausschauen wollten. Die Kreise der zeitgenössischen Musik, deren Gebiet er damit - klanglich, nicht mentalitätsmässig ! - betreten hatte, konnten wiederum mit soviel Ungestüm und exzessivem Lebensstil nichts anfangen. Eine der wenigen Ausnahmen war Andrzej Dobrowolski, ein Pionier der neuen und elektronischen Musik. Nachdem er bei einem Festival EUPHORISMUS I gehört hatte, sagte er klar und bestimmt: "Er ist doch ein Komponist, der Feichtner".
Das grafische Werk
Das musikalische Werk von Dieter Feichtner ist archiviert und katalogisiert
- im Rahmen einer Arbeit am Institut für Computermusik und elektronische
Medien an der Musikuniversität Wien (Lisa Rozman). Es beläuft
sich auf ca. 100 Stunden Musik: direct recordings, Studioaufnahmen,
Live-Mitschnitte aus mehreren Tonband- und Cassettensammlungen.
Weit weniger übersichtlich ist Feichtners grafisches Werk. Er brauchte
nicht viel dazu: einen Tisch, seine Zeichenutensilien, die er meistens
bei sich hatte, und etwas Papier oder Karton. Wo immer er sich aufhielt,
hat er seine kleinen Kunstwerke hinterlassen. Es ist kaum einzuschätzen,
wieviel davon noch in alle Welt verstreut existiert. Was hier vorliegt,
ist ein kleine Auswahl von 39 Exponaten, die der Maler Jörg Huber
im Laufe der Zeit gesammelt hat.
Diese zierlichen kleinformatigen Werke bilden einen Gegensatz zu dem
opulenten musikalischen Werk. Hintergründig und mehrdeutig sind
sie allemal. Und sie gehören dazu - zu dem Phänomen Franz
Dieter Feichtner.
"The whole man must move together" (T.A.Edison ?).
G.R.