Günther Rabl :: Renate Porstendorfer
STYX
eine Fuge in Klängen und Bildern - Originalfassung von 1983 / 85
Fotografie & Projektion: Renate Porstendorfer
Organisatorische Leitung: Thomas Gorbach
Technische Leitung: Wolfgang Musil
Steuerungstechnik: Georg Danczul
Aufbau: Richard Bruzek, Wagner Felipe dos Santos, Stephan Roth
Special thanks to: Christoff Wiesinger, Gilbert Handler, Katharina Klement
SA, 12. Dezember 21h
SO, 13. Dezember 20h
Kuppelsaal der TU Wien
The Electroacoustic Project
TU Wien Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal
Wolfgang Musil, Renate Porstendorfer und Günther Rabl bei der Probe
(von li. nach re.) Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
TU Wien Kuppelsaal Foto:Otto Jekel
Aus fünf Grundklängen (Fragmenten von Aussenaufnahmen, denen keinerlei symbolische oder anekdotische Bedeutung zukommt, die lediglich Materialwert haben) sind Generationen von Klängen in je aufsteigender und absteigender Linie abgeleitet - im ständigen Wechsel von elektronischer Transformation und Gestaltung."
(liner notes der Erstveröffentlichung auf CD 1988)
In meiner vorhergehenden grösseren Arbeit ATEM (1981/82) hatte
ich die seriellen Kompositionsverfahren auf die Spitze getrieben. Variationen
von Reihen, die aus dem Klangmaterial selber abgeleitet sind, bestimmen
alle Bereiche der Komposition - vor allem auch die sogenannten 'technischen'
Parameter, die dadurch als musikalische verfügbar werden.
Bei dieser systematischen Arbeit geriet ich immer wieder in Klangbereiche,
die etwas Besonderes an sich hatten. Im Schnittpunkt der elektronischen
Transformationen zeigten sich Klangtypen, die eine Authentizität
vermitteln, wie man das sonst nur von guten Aufnahmen kennt - mit dem
Vorteil, dass sie auf nichts mehr ausserhalb ihrer selbst verweisen
müssen ('Aufnahme von ...'). Das Erstaunliche dabei ist, dass sich
diese Klanggestalten gegen die Methoden zu sträuben scheinen, mit
deren Hilfe sie auffindbar sind. Mit serieller Komposition ist ihnen
nicht beizukommen. Bei der Arbeit an ATEM habe ich sie daher weitgehend
vermieden. (In meinen Aufzeichnungen von damals findet sich die Notiz:
"Mit solchen Klängen kann man schlechterdings nicht komponieren
- oder wenn, dann 24 Stunden Musik - traumschwer").
In STYX habe ich sie danach doch wieder aufgegriffen. Die Bedingung
war, dass man sich auf ihr Eigenleben einlassen muss: Komponieren nicht
länger als ein 'Ordnen von Tönen', sondern als eine Art Dramaturgie
von Klanggestalten, die ihre eigene Geschichte erzählen. Damit
schliesst sich mit STYX ein grosser Bogen zu meinen ersten Tonbandstücken
(MUGL ENTSTEIGT).
Das wichtigste Gestaltungsprinzip dabei war die Metamorphose, oder technisch
gesprochen: die elektronische Transformation. Obwohl es noch Jahre dauern
sollte, bis ich einen Computer mit audio-output hatte, war es schon
klar, dass man davon ungeahnte neue Bearbeitungsmethoden erwarten konnte.
Die Vorfreude darauf (und entsprechende theoretischer Vorarbeit) spornte
mich zu neuen Kombinationen bereits bekannter Verfahren an. Tatsächlich
habe ich in dieser Arbeit einiges von dem vorweggenommen, das erst viel
später, mit dem Aufkommen schneller Prozessoren allgemein verfügbar
wurde - oft in stundenlangen Prozessen mit Tonbändern und einfachen,
aber hochqualitativen elektronischen Geräten, die Georg Danczul
nach meinen Vorstellungen gebaut hatte.
Eine neue Herausforderung war die Gestaltung der Bildwechsel. Das heisst,
ganz so neu auch wieder nicht, denn die Jahre davor gab es immer wieder
eine lose Zusammenarbeit in der Kombination von Improvisationen, Tonbandzuspielungen
und Diaprojektion sowie ein auskopmponiertes Stück 'MÄRCHEN',
das auch heute noch audiovisuell aufführbar ist. Nun aber gab es
vier Leinwände zu den vier Tonspuren (das war von Anfang an klar)
und die kontrapunktischen Bildwechsel darauf waren eindeutig eine 'musikalische'
Aufgabe.
Während ich an STYX gearbeitet habe, mit Unterbrechungen immerhin
zweieinhalb Jahre, hat Renate Porstendorfer unabhängig von meiner
Arbeit Serien von Fotos aufgenommen. Teilweise im Waldviertel, teilweise
in den Salzburger Bergen, auf Feldern, an Flüssen, an Wasserfällen;
viele Landschaftsaufnahmen, aber hauptsächlich Momente von bewegtem
Wasser und Lichteffekte. Daneben auch Mikrostrukturen mit Glas und farbigen
Beizen, die nicht selten gegenständlicher wirken, als die Aufnahmen
von realen Landschaftselementen. Dazu kam noch ein immer raffinierterer
Umgang mit unterschiedlichem Filmmaterial. Tausende von Bildern.
"Ich sehe aus mir hinaus. Was wortlos und bildlos in mir schlummert,
ist draussen vielleicht bereits da. Schauend warte ich auf die Resonanz
des Wiedererkennens. Ich muss nur durchlässig dafür sein.
Es muss durchgehen durch mich und auf den Film kommen. Es muss ankommen."
(R.P.)
Als es immer klarer wurde, dass diese Bilder in Form von Projektionen
eine optische Ebene zu STYX ergeben können, mussten grundlegende
Entscheidungen getroffen werden. Eine davon war: Überblendung,
ja oder nein. Ähnlich wie in der Musik halte ich auch bei den Bildern
Einblenden, Ausblenden und Überblenden für eine brauchbare
handwerkliche Methode, aber für keine formale Lösung. (Noch
heute ist unter uns Elektroakustikern ein running Gag der "fade
Fader", wenn wir alte Popnummern hören, bei denen es nach
drei Minuten keinen Ausweg mehr gibt, als langsam die Regler zuzuziehen).
Also: harte Übergänge. Damit bekam auch die Rhythmisierung
der Bildwechsel einen anderen Stellenwert. Die Kombination der Bilder,
die Linien und Schichten von Motiven und Farben war grösstenteils
Renates Sache; die Rhythmisierung grösstenteils meine.
Wer einmal Bilderserien oder Film vertont hat, weiss, dass akustische
Zeit und optische Zeit nicht dasselbe sind. Auch für die Inhalte,
die transportiert werden gilt ähnliches. In den Anfängen des
Tonfilmes haben die russischen Filmer um Vertov und Eisenstein als Dogma
festgelegt, dass Bild und Ton niemals dieselbe Sache darstellen dürfen.
Nun, als Dogma würde ich das nicht übernehmen, aber es stimmt:
Man vergibt sich eine ganz Dimension dabei - sowie man sich eine Dimension
vergibt, wenn man Bildrhythmus und musikalischen Rhythmus platt miteinander
koppelt. Wohl gibt es Beziehungen zwischen einzelnen Bildern und musikalischen
Motiven, aber ihr zeitlicher Zusammenhang kann weit auseinanderklaffen,
vorausschauend, rückblendend, synkopiert. Ein punktgenaues Zusammentreffen
von Bildwechsel und akustischem Akzent ist wenigen dramatischen Momenten
vorbehalten. Ansonsten verlaufen die verschiedenen Erzählstränge
parallel in mehreren Schichten und verbinden sich zu einem einzigen
grossen epischen Bogen, eben zu einer Fuge in Klängen und Bildern.
G.R.
Die Uraufführung von STYX in der Originalfassung fand im Dezember 1985 im Palais Erzherzog Karl in Wien statt. Es folgten zwei weitere Aufführungen, eine im Konzerthaus Wien 1986 und eine in der Münchner Philharmonie 1987. Ab da wurde das Stück mehrmals in einer reduzierten Fassung mit nur einer Leinwand in Österreich und in Ungarn gezeigt. Die vorliegende Version ist eine aus dem Zwischenmaterial digital rekonstruierte Neusynchronisation der Musik sowie der Projektorsteuerung für die originalen Dias.
Nachtrag 'Material'
Selbst für Leute vom Fach ist es nicht immer begreiflich, was ich
mit Klangmaterial meine. Ich sehe und verwende es tatsächlich als
Material in einem handwerklichen Sinn. Dennoch stellt man mir immer
wieder die Frage, ja was sind denn das für Aufnahmen, die da verarbeitet
sind. Ich betone nocheinmal, dass sie keine anekdotische Bedeutung für
die Dramaturgie haben. Es ist kein Hörspiel, es ist Musik. Aber
ich mach auch kein Geheimnis daraus.
Here they are:
1) ein auf- und abfahrender Mähdrescher auf einem Feld
2) eine Autohupe
3) eine Feuersirene zu Mittag mit Kirchenglocken und Schwalben
4) eine Akkordstudie in Dritteltönen am Cello
5) eine Strassenszene mit Autos, Traktoren und spielenden Kindern
Mit Ausnahme der Aufnahme von dem Mähdrescher, die eine gute halbe Stunde dauert, sind diese Fragmente relativ kurz. Das Zwischenmaterial allerdings, all die elektronischen Transformationen und Entwicklungen aus diesem Ausgangsmaterial, bestand zuletzt in mehr als 50 Tonbändern, zusammengenommen etwa 30 Stunden an Klang.