Das "Kinoauge" trifft auf das "Ohrenkino"
Der epochale Film von Dziga Vertov (1929) mit der kongenialen Musik von
Pierre Henry (1993)
Österreichische Erstaufführung der von Pierre Henry authorisierten
integralen Fassung
Film: Dziga Vertov
Musik: Pierre Henry
Idee und Klangregie: Thomas Gorbach
Akustische Inszenierung: Günther Rabl
Lichttechnik: Michael Strohmann
Künstlerische Beratung: Christoff Wiesinger
Tontechnische Beratung: Wolfgang Musil
Aufbau: Richard Bruzek, Stephan Roth
Special thanks to: Gilbert Handler, Tucherl
14./15. März 2009, TU Wien, Prechtlsaal
The Electroacoustic Project
Sponsored by Günther Rabl und Alexandra Sommerfeld
Prechtlsaal
Foto:Otto Jekel
Prechtlsaal
Foto:Otto Jekel
Prechtlsaal
Foto:Otto Jekel
Prechtlsaal
Foto:Otto Jekel
Prechtlsaal
Foto:Otto Jekel
Foto:Otto Jekel
Was, schon wieder eine Stummfilmvertonung ! Hat man uns in den letzten
Jahren nicht geradezu überhäuft mit dergleichen ! Kaum ein
alter Schinken, der nicht aus seiner Versenkung geholt worden wäre,
aufdass Musiker dazu improvisieren oder Kompositionsaufträge erhalten
(die man ihnen ja auch so geben könnte).
Aber hier liegt die Sache anders.
Erstens einmal ist 'Tschelowek s kinoapparatom' (Der Mann mit der Kamera)
von Dziga Vertov kein Spielfilm. Als Vorläufer des Dokumentarfilmes
wird er gehandelt, aber auch darüber liesse sich streiten. Vertov
selber bezeichnete sich als "Filmdichter". "Ich schreibe
nicht auf Papier, sondern auf Zelluloid", notiert er 1934 in sein
Tagebuch.
Zweitens ist die Musik, die Pierre Henry mehr als sechzig Jahre später
dazu geschaffen hat, alles andere als eine 'Vertonung'. Henry ist der
eigentliche Begründer der 'musique concrete' Anfang der Fünfzigerjahre
(Komposition von Musik mit aufgenommenem Klangmaterial auf Tonband)
und er ist bis heute, im Alter von 82 Jahren, unbestritten ihr prominentester
Vertreter. Als 'Ahnherr' der neuen elektronischen Musik und des Techno
wurde er (etwas vereinfacht) in den letzten Jahren wiederentdeckt; als
Vorläufer des 'Sampling', das er tatsächlich schon seit vielen
Jahrzehnten auf seine Art konsequent und radikal anwendet.
Diese Art Musik zu schaffen hat eine tiefe Verwandtschaft mit der Herangehensweise
Vertov's in dessen Filmen, sowohl was die Methoden anbelangt (Montage),
als auch im Verhältnis zur Realität - jenseits allen Dokumentarismus.
Im Zusammenwirken dieser beiden unabhängigen, aber seelenverwandten
Ebenen entsteht eine neue Dimension der Wahrnehmung. Die Aufführung
trägt diesem Zusammenwirken Rechnung. Bild und Ton treffen sich
im realen Raum. Ganz in der Tradition der Inszenierung von elektroakustischer
Musik wird Henry's Komposition über viele räumlich verteilte
Lautsprecher gespielt, in deren Mitte die Projektion von Vertov's Film
thront.
Ein Hinweis für Cineasten:
Die Version des Filmes, die Henry im Rahmen eines Kompositionsauftrages
zur Verfügung gestellt wurde, ist offensichtlich eine Kopie des
ursprünglich quadratischen Filmformates auf das spätere Tonfilmformat
4:3 (abzüglich einer nicht benötigten Tonspur). Das mag man
bedauern, aber es gibt fürs erste keine andere Möglichkeit,
das ganze Werk aufzuführen. Es ist ja weiterhin möglich, sich
Vertov's Film im Original anzuschauen - soweit man überhaupt von
einem 'Original' sprechen kann. In der vorliegenden Kombination entfaltet
das Werk eine einzigartige räumliche Kraft, die man sich jedenfalls
nicht entgehen lassen sollte.
G.R.
the electroacoustic project / canto crudo
supported by: TU Wien / bm:ukk / Land Vorarlberg